Beschreibung
“Wolfgang Petrick gründete mit 15 weiteren Künstlern, darunter Karl Horst Hödicke und Markus Lüpertz, im Mai 1964 die Berliner Selbsthilfegalerie Großgörschen 35. Das Genre Graphik war für alle Großgörschener ein entscheidendes Experimentierfeld und stimulierte mit niedrigen Preisen zum Sammeln. Sie hatten sich alle in der Druckwerkstatt in der Grunewaldstraße bei dem Drucker Hubertus Hurtz die Techniken der Radierung und Lithographie angeeignet. Besonders Wolfgang Petrick fiel mit seiner ins Surreale getriebenen Figuration auf. Gekritzelte, von Toilettenwänden inspirierte Gnome mit bluttriefenden Messern und Krallenfingern wie aus einem expressionistischen Vampir-Film bevölkern seine Bildflächen. Petrick verarbeitet mit diesen Zerrbildern menschlicher Existenz Einflüsse aus dem Buch Bildnerei der Geisteskranken von Hans Prinzhorn (1922). Schon für Max Ernst war das Buch eine Quelle der Inspiration, das Auskunft gibt über einen bisher verborgenen Kontinent künstlerischer Produktivität. (…)
Eine weitere Bildquelle erschloss sich Petrick, der als zweites Fach Biologie an der Freien Universität studiert hatte, im Osten der Stadt in einer der bei den Künstlern von Großgörschen so beliebten Ost-Berliner Buchhandlungen: den Atlas der gerichtlichen Medizin von Otto Prokop und Waldemar Weimann mit fast 2000 Abbildungen, der im VEB Verlag Volk und Gesundheit 1963 erschienen war. Zur zweibändigen Version gehörte das Lehrbuch der gerichtlichen Medizin.
Petrick rührt mit seinen Bildern an die animalisch-abgründige Triebnatur des Menschen. Diese Nachtseite unserer Existenz war in Berlin seit E.T.A. Hoffmann Thema einer unter der Oberfläche des sachlich nüchternen, begrifflich analytischen Realismus stets präsent als Gegenströmung bei George Grosz oder Wolfgang Petrick. Sein umfangreiches Werk seit 1963 zeigt in seiner Ambivalenz zwischen Zivilisationskritik und der Suche nach einer umfassenden, sinnlich affektiven Erkenntnis menschlicher Existenz analog zur mythischen Erfahrung ‚wilden Denkens‘, dass seine Arbeit mit Etiketten wie ‘kritischer Realismus’ nicht zu fassen ist.”
Dr. Eckhart Gillen zum Podiumsgespräch, Februar 2023, Galerie feinart berlin